Sinn und Sinnlichkeit

Die Ayurveda-Massage-Therapeutin erklärt, worum es eigentlich bei dieser Lehre vom Leben geht und welchen Einfluss sie auf die Sexualität hat.

Die Ayurveda-Massage-Therapeutin führt in die Philosophie der alten indischen Heilkunst ein, zeigt auf, worauf es im Leben wirklich ankommt und hat ein paar einfache Schönheitstipps parat.

 

Text: Aurelia Glück
Foto: Angela Yuriko Smith – Pixabay.com

 

In den vielen Jahren, die ich Ayurveda-Massagen gebe, ist mir vor allem eine Sache aufgefallen, die mein Leben veränderte: Wenn ein Mensch auf meiner Bank liegt und sich nackt wie ein Baby meinen Berührungen und den eigenen Empfindungen hingibt, erkenne ich seine Schönheit. Sie war bereits vorher da, ich habe sie nur nicht bemerkt. Ob dick oder dünn, faltig oder entstellt: Wenn meine Hände einen Menschen wie einen unbekannten Kontinent vorurteilsfrei entdecken, verwandelt er sich. Es entsteht Poesie der Hingabe. Diese kostbaren Momente haben die Empfängerinnen und Empfänger meiner Massagen tief berührt. Und auch ich tauche während dieser Begegnungen in bedingungslose Liebe ein, eine Liebe, die größer ist als meine eigene.

Was geschieht während einer Ayurveda-Massage? Die Haut wird mit wohlig warmem Öl eingerieben, die Gelenke werden geschmiert, sämtliche Strukturen gedehnt, die Muskulatur entkrampft, die Durchblutung in den Körpergeweben angeregt. Schlackenstoffe werden durch das tief in die Gewebeschicht eindringende Öl abtransportiert, die Blutkanäle werden gereinigt. Der Atem wird tiefer, das Zusammenspiel zwischen Lunge und Zwerchfell reguliert sich, und – last but not least – kommt der Verstand endlich einmal zur Ruhe.

Eine spirituell arbeitende Ayurveda-Massage-Therapeutin führt ihre Gäste an den Ort zwischen Wachen und Schlafen, wo Empfindungen vielschichtiger werden und dabei herrlich frei von jeglicher Bewertung. Endlich kann der Mensch auf allen Ebenen loslassen, so dass Selbstheilungsprozesse angeregt werden. In der ayurvedischen Weltsicht gibt es keine Trennung zwischen Körper, Geist und Seele. Das Leben wird stets von allen Seiten betrachtet. So werden Krankheiten grundsätzlich als psycho-somatisch angesehen, denn oft resultieren sie aus inneren Konflikten wie auch aus Zuständen mangelnder Selbstliebe. Sind wir krank, kann ein Medikament helfen, ein individuelles Yogaprogramm, ein Gebet oder Mantra oder eben alles zusammen.

Während die Tantramasseurin sich als Partnerin zur Verfügung stellt und die Sexualität der Gäste einbindet, nimmt die Ayurveda-Massage-Therapeutin eine andere Rolle ein, die sagt: „Ich führe dich wie eine Mutter in universelle Liebe, an einen Ort vollkommener Sicherheit“. Interessanterweise haben die vielen authentischen Begegnungen dennoch eine Auswirkung auf die eigenen sexuellen Erfahrungen: Sie werden tiefer und vielschichtiger und oberflächlicher Sex komplett uninteressant. Heute will ich meine Seele teilen, wenn ich meinen Körper mit einem anderen vereinige. Ich bin – wie meine Gäste auch – ein ganzes Stück mehr bei mir angekommen.

Denn worum geht es im Leben? Um Liebe. Und wo fängt diese Liebe an? Bei mir selbst. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer. In der westlichen Welt haben wir es mit einem großen Problem zu tun, das im tibetischen Buddhismus zum Beispiel nie Fuß gefasst hat: mangelnde Selbstliebe. Es geht hier um die ultimative Selbst-Liebe, die nichts mit Narzissmus zu tun hat, der eine psychische Störung der Selbstverliebtheit ist. Es geht um Dankbarkeit für das Größte aller Geschenke im Leben: das Leben selbst. Solange wir atmen, sind wir in Verbindung mit derselben Energie, derer sich auch die Schöpferkraft bedient, die alles Leben hervorbringt: Prana.

Prana ist der Atem des Lebens. Prana ist das, was uns allnächtlich beatmet, wenn wir das Bewusstsein verlieren. Über den Atem sind wir mit allem und jedem auf diesem Planeten verbunden. Er ist der einzige Prozess im Körper, der sowohl ohne unser aktives Zutun funktioniert, als auch bewusst steuerbar ist. Während wir ausatmen, versorgen wir die Natur und ihr Ausatem ist unser Sauerstoff. Wir sind Teil der alles durchdringenden Lebensenergie des Universums.

Bezeichnenderweise ist die Wurzel des Wortes „Atem“ das indogermanische atman. „Atman“ bezeichnet das individuelle Selbst (sat), die unzerstörbare ewige Essenz des Geistes (chit), die erfüllt ist von Bewusstheit und Glückseligkeit (ananda): So bezeichnet Satchitananda die Glückseligkeit im Zustand der Verbundenheit vermittels unseres Atems.

Doch was hat das alles mit Sexualität und Selbstliebe zu tun? Alles. Während unserer sexuellen Begegnungen teilen wir ja nicht nur unsere Genitalien. Sexualität kann so viel größer sein. Durch tiefes Atmen verschwimmen unsere ich-haften Grenzen. Wir können mit dem geliebten Menschen, ja sogar mit dem ganzen Universum die Erfahrung machen, verbunden zu sein. Auf dem Weg dorthin besteht nur eine Gefahr: Wir könnten uns selbst begegnen. Davor fürchten sich viele Menschen. So viele von uns haben nicht oft genug gehört, wie schön sie sind. Mehr noch, sie haben psychische oder körperliche Gewalt erfahren. Das freie Fließen des Atems führt uns in die allumfassende Liebe, doch sie belebt auf dem Weg auch unliebsame oder sogar traumatische Erlebnisse. Und da alle Störungen, die in Beziehung entstanden sind, auch in Beziehung gelöst werden wollen, habe ich viele Schmerzen gesehen und mitgefühlt und meine Gäste auf der Bank in ihrem Bad der Liebe gehalten, wenn der Heilungsprozess sich mit tiefen Gefühlen, Tränen, aber auch köstlichen Erkenntnissen Bahn brach. Letztlich halten wir uns selbst nur durch Selbstliebe aus. Durch Selbstliebe erlauben wir uns, in all unseren möglichen Entfaltungen sichtbar zu werden. Wir erwachen im Zustand der Selbstliebe zu dem Menschen, der wir sind.

 
 

Der vollständige Beitrag ist in Séparée No.17 zu lesen.

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